Wertersatz bei Widerruf einer Online-Partnerbörse

Der EuGH hat nun entschieden (Urt. v. 08.10.2020, C‑641/19), dass bei Widerruf eines Vertrages über eine Mitgliedschaft in einer Online-Partnerbörse (hier: Parship) nicht der volle Mitgliedsbeitrag bezahlt werden muss.

Was als Selbstverständlichkeit anmutet, war umstritten. Grundsätzlich kann man auf das Widerrufsrecht, welches Verbrauchern bei Fernabsatzverträgen und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen immer eingeräumt werden muss, nicht verzichten. Dies würde allerdings bedeuten, dass Unternehmen immer die 14-tägige Widerrufsfrist abwarten müssen, bevor sie mit ihren Leistungen beginnen. Das BGB sieht daher vor, dass das Unternehmen bereits vorher mit der Leistung beginnen kann, wenn der Verbraucher es ausdrücklich wünscht. Der Verbraucher kann dann trotzdem widerrufen, muss allerdings Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachten Leistungen zahlen.

Hier verlangten viele Partnerbörsen dann doch den vollen Betrag. Warum der volle Mitgliedsbeitrag und nicht der anteilsmäßigen Beitrag bis zum Widerruf? Weil die Partnerbörsen damit argumentierten, dass der Persönlichkeitstest diesen Wert habe. Und den erhalten die Mitglieder ja gleich zu Beginn vor Widerruf.

Der EuGH urteilte nun, dass der Vertrag im Ganzen betrachtet werden müsse. Dieser sehe eine Mitgliedschaft vor, die für einen bestimmten Zeitraum vergütet werden müsse und eben keine gesonderten Betrag für den Persönlichkeitstest. Bei einem Widerruf dürfen also nur die anteiligen Mitgliedsbeiträge als Wertersatz verlangt werden.

Kein Hygieneproblem beim Widerruf von Matratzen?

Der Bundesgerichtshof hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob ein Widerrufsrecht auch bei Matratzen bestehe oder ob die Hygieneausnahme des Art. 16 lit. e) der Verbraucherrechterichtlinie (VRRL, RL 2011/83/EU) greife (BGH, Vorlagebeschl. v. 15.11.2017 – VIII ZR 194/16). Nun liegen die Schlussanträge des Generalanwalts vor.

Im deutschen Recht findet sich die Umsetzung der Ausnahme in § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB:

§ 312g Widerrufsrecht
(1) (…)

(2) Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei folgenden Verträgen:

(…)

3.Verträge zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde,

Im vorliegenden Fall hatte der Kläger auf Rückzahlung des Kaufpreises geklagt, nachdem er eine Matratze in einem Online-Shop bestellt und dann den Vertrag widerrufen hatte. Der Shopbetreiber hatte sich auf die Ausnahme gestützt, da die Matratze versiegelt gewesen war und das Siegel entfernt wurde. Die Ausnahme war auch in der Widerrufsbelehrung und den AGB aufgeführt. Das Amtsgericht und das Landgericht Mainz hatten dem Kläger recht gegeben, die Ausnahme greife nicht, da die Matratze kein Hygieneartikel sei, der von der Vorschrift umfasst sei.

Nun liegen die Schlussanträge des Generalanwalts vor. Der EuGH hat also noch nicht entschieden, es handelt sich bisher lediglich um eine Empfehlung des Generalanwalts, denen der EuGH meist allerdings folgt.

Der Generalanwalt sieht hier ein Widerrufsrecht. Dies Ausnahme greife nicht. Zwar gesteht er ein, dass unter Umständen Verbraucher kein Spannbettlaken verwenden würden zum Testen. Allerdings greife die Hygiene-Ausnahme trotzdem nicht. Der Generalanwalt zieht zum einen einen Vergleich mit Kleidung, die ausdrücklich als widerrufsfähig anerkannt sei (Erwägungsgrund 47 der VRRL). Zum anderen stellt er darauf ab, dass eine Matratze durch entsprechende Reinigungsmaßnahmen wieder verkehrsfähig gemacht werden könne. Schließlich gebe es für den Unternehmer Wertersatz, wenn die Matratze einen Wertverlust aufweise, der auf einen Umgang mit der Matratze zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit der Ware nicht notwendig war.

Die Entscheidung zeigt wieder einmal: Die Ausnahmen vom Widerrufsrecht sind sehr restriktiv und im Zweifel für den Verbraucher auszulegen. Die Reinigung einer Matratze ist doch mit einem erheblichen Aufwand verbunden und der Wertersatz dürfte recht spät greifen, da unklar ist, was der Verbraucher zur Prüfung der Beschaffenheit alles mit der Matratze tun darf. Das Nächtigen dürfte also erlaubt sein, denn wie soll man die Matratze sonst testen? Und man soll ja in der Nacht mindestens einen Liter Schweiß verlieren.

EuGH zum Widerrufsrecht auf einer Messe

Wir hatten es an dieser Stelle schon zweimal besprochen (hier und hier), jetzt hat der EuGH entschieden (EuGH, Urteil v. 7. August 2018) :

Ob Verbraucher bei Käufen auf einem Messestand ein Widerrufsrecht haben, hängt vom Erscheinungsbild des Messestandes ab. Es geht, auf den Punkt gebracht, um die Frage, ob der Verbraucher damit rechnen konnte, dass ein Unternehmer dort seine Tätigkeiten ausübt und ihn anspricht, um einen Vertrag zu schließen. Konnte er damit rechnen, handelt es sich nicht um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag im Sinne von § 312b BGB. Dann gibt es auch kein Widerrufsrecht.

Bei dem Merkmal “dauerhafte Ausübung der Geschäftstätigkeit” und “gewöhnliche Ausübung der Geschäftstätigkeit” (beide notwendig für das Vorliegen eines Geschäftsraumes, vgl. § 312b Abs. 2 BGB, Art. 2 Nr. 9 VRRL [RL 2011/83/EU) komme es laut EuGH gerade nicht darauf an, wie oft ein Unternehmer auf einer Messe ist. Dies würde ja auch zu dem absurden Ergebnis führen, dass auf dem Messestand links ein Widerrufsrecht besteht, weil der Unternehmer häufig auf Messen ist und auf dem Messestand rechts daneben keines, weil der Unternehmer vielleicht nur einmal im Jahr einen Messestand hat. Entscheidend sei also nicht, wie häufig der Unternehmer einen Messestand hat, sondern wie sein Stand aussieht: Ganz im Sinne des Verbraucherschutzes, welcher darauf abstellt, ob der Verbraucher mit einem Vertragsschluss rechnen musste oder nicht. Musste er nicht damit rechnen, ist er schutzwürdig und hat das Recht, sich vom Vertrag zu lösen.

Allerdings: Je nach Erscheinungsbild des Standes kann das Bestehen eines Widerrufsrechts auch nach dieser Entscheidung bei unterschiedlichen Ständen auf einer Messe unterschiedlich beurteilt werden.

Der EuGH definiert den Geschäftsraum, wenn

wenn in Anbetracht aller tatsächlichen Umstände rund um diese Tätigkeiten und insbesondere des Erscheinungsbilds des Messestandes sowie der vor Ort auf der Messe selbst verbreiteten Informationen ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der betreffende Unternehmer dort seine Tätigkeiten ausübt und ihn anspricht, um einen Vertrag zu schließen, was vom nationalen Gericht zu prüfen ist.

(Rn. 46 des Urteils).

Die Gerichte müssen sich also in Zukunft die einzelnen Stände ganz genau ansehen. Dies dürfte im Nachhinein schwierig werden.

Anwaltsvertrag als Fernabsatzvertrag

Wenig überraschend hat der BGH in einem Urteil den Anwaltsvertrag als Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312c BGB qualifiziert, wenn er mit Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen wurde (BGH, Urt. v. 23.11.2017 – Az. IX ZR 204/16).

Streitig war der zweite Teil des Absatzes 1 des § 312c BGB:

Fernabsatzverträge sind Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt.

In der Literatur wurde zum Teil die – meines Erachtens etwas abwegige -Meinung vertreten, dass aufgrund der besonderen Vertrauensbeziehung des Rechtsanwalts zu seinem Mandanten niemals ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem vorliegen kann. Dem hat der BGH in der Entscheidung eine klare Absage erteilt.

Er hat aber auch deutlich gemacht, dass die Formulierung „es sei denn“ eine Vermutungswirkung aufstellt: Trägt der Anwalt also nichts vor, was gegen ein solches organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem spricht und kann er dies nicht beweisen, greift der Ausschluss nicht. Dies dürfte nur sehr schwer zu erreichen sein. Dem Rechtsanwalt in dem Verfahren gelang es nicht.

Ist eine Messe ein Geschäftsraum?

Und noch eine Entscheidung zum Widerrufsrecht.

Immer, wenn ich im Rahmen meiner Vorträge zum Widerrufsrecht erkläre, dass ein Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (§ 312g BGB, § 312b BGB) besteht, kommt die Frage:

Sind Messestände Geschäftsräume oder nicht?

Meine Antwort:

Das ist noch nicht entschieden. Vom Sinn und Zweck her möchte man bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen den Verbraucher schützen vor übereiligen Kaufentscheidungen. Wenn er in ein Geschäft geht, weiß er, dass er sich gedanklich mit Kaufentscheidungen beschäftigen muss; außerhalb eines Geschäftes ist er darauf nicht vorbereitet. Wie ist es auf Messen? Ist der Verbraucher psychologisch darauf eingestellt, hier Kaufentscheidungen treffen zu müssen?

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Widerrufsrecht bei Matratzen: BGH will EuGH vorlegen

Besteht bei Matratzen ein Widerrufsrecht? Der BGH ist sich nicht sicher und hat angekündigt, diese Frage nun dem EuGH vorzulegen (Az. VIII ZR 194/16).

Der Händler der in einem Online-Shop gekauften Matratzen argumentiert, dass die Matratzen aus Gründen der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet waren und deswegen versiegelt wurden. Der Käufer hatte diese Versiegelung entfernt.

Der Händler beruft sich auf die Ausnahme vom Widerrufsrecht, die § 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB vorsieht:

(2) Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei folgenden Verträgen:
(…)
3.Verträge zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde,
(…)

Mit der Ausnahme soll verhindert werden, dass etwa Lippenstifte oder Medikamente zurückgegeben werden können. Bei Letzteren wird nicht mit der Hygiene, sondern dem Gesundheitsschutz argumentiert.

Aber gilt dies auch für Matratzen? Der Wortlaut spricht eindeutig davon, dass die Ware aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sei.

Das vorbefasste LG Mainz hat die Ausnahme nicht als einschlägig eingesehen. Denn eine Matratze könne vom Händler schließlich gereinigt und dann neu verkauft werden. Ein Hygieneproblem gebe es dann nicht mehr.

Dies zeigt wieder einmal, dass das am 13.06.2014 in das BGB neu gefasste und auf die europäische Verbraucherrechterichtlinie (RL 2011/83/EU vom 25.10.2011) zurückgehende Widerrufsrecht aufgrund dieser Neuheit noch viele ungeklärte Rechtsfragen enthält. Diese werden erst nach und nach durch die höheren Gerichte geklärt werden.

Bis dahin besteht noch viel Rechtsunsicherheit.

Eine Entscheidung des BGH wird am 8. November erwartet.

Update am 29.08.2017: Aktenzeichen und Verkündungstermin eingefügt.